Sie war 26 Jahre das Herz der Sozialstiftung Köpenick. Nun hat sich Natalija Ingendorf in ihren mehr als verdienten Ruhestand verabschiedet. Jedoch nicht wortlos, sondern mit einem spannenden Interview, in dem sie sowohl in die Vergangenheit als auch die Zukunft der Sozialstiftung blickt.
Liebe Frau Ingendorf, wie kamen Sie als Frau der Zahlen zu der Sozialstiftung Köpenick?
Ui – diese Geschichte ist zwar lang, aber auch schnell erzählt.
Von Beruf bin ich Diplom-Ingenieur-Ökonom. Nach meinem Studium habe ich zuerst in einem Betrieb des Berliner Möbelkombinates, zuletzt als Hauptbuchhalter, gearbeitet. Dann folgten die Stationen in einem Steuerbüro sowie der Berliner Bank.
Zahlen übten schon immer eine Faszination auf mich aus, in der Schule waren Mathe und Physik meine Lieblingsfächer. Weil alles so klar war. Wenn Menschen über das Wetter sprechen, sagen viele, es sei kalt oder warm. Für mich werden diese Aussagen erst fassbar, wenn jemand sagt, dass es 18 Grad warm ist. Ich wusste bei Zahlen, woran ich bin und habe geliebt, wenn es aufging und ich das Ergebnis hatte. Ja, das war für mich was Tolles.
Trotz meiner Liebe zu den Zahlen wollte ich doch auch gerne wissen, wo mein Herzblut ankommt. Und das sah ich nicht in der Bank. Ich wollte ein größeres Feld haben, in dem ich mit meiner Zahlenaffinität wirken kann.
Und in diesem Moment entdeckte ich die Ausschreibung, damals noch im öffentlichen Dienst. Es wurde jemand gesucht, der die Eröffnungsbilanz zu einer Stiftungsgründung macht. Da war alles im Aufbau, ohne Vorerfahrungen zu den neuen Gesetzen und der neuen Pflegebuchführungsverordnung. Ich setzte mich gegen andere Bewerber durch und kam so zur Sozialstiftung Köpenick.
Und mit einem Mal sah ich, was meine Arbeit ermöglichte, wo das ankam, was viele Menschen erwirtschafteten. Hier sah ich, was man mit Verträgen zum Wohle der Bewohner erreichen kann: Sei es, dass eine neue Lampe angebracht, ein neues Auto gekauft und die Cafeteria neu gestrichen wurden oder die kaputten Fliesen wegkamen. Und ich sage ja, ich habe nicht einen Tag bereut, dass ich hier arbeite.
Wenn Sie auf die letzten 26 Jahre zurückblicken: Wie sehen Sie aus heutiger Sicht die Entwicklung der Sozialstiftung Köpenick?
Ich glaube, am wichtigsten war in den ersten Jahren die Modernisierung der drei Häuser in der Werlseestraße, denn die hatten wirklich eine marode Substanz.
Mit den Fördergeldern, die wir beantragt und erhalten haben, hat die Sozialstiftung Köpenick unter Einsatz von Eigenmitteln tolle Arbeitsbedingungen für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und schöne Wohnbedingungen für unsere Bewohner geschaffen. Als ich hier anfing, gab es noch Vier-Bett-Zimmer! Plötzlich gab es auf jeder Etage einen Lift, neue Hilfsmittel oder schnurlose Telefone. Das war ein riesiger Schritt, eine richtig tolle Entwicklung.
Neben diesem ersten Schritt war die Erweiterung unserer Geschäftsfelder eine spannende Entwicklung: Wir haben die Kurzzeitpflege dazubekommen, die Häuser an anderen Standorten modernisiert, neue Gebäude gebaut und auch SpreeTakt – BFB eröffnet.
Ein richtiges Highlight ist unsere Einrichtung ServiceWohnen in der Niebergallstraße. Nach der Klärung der Restitutionsansprüche konnte die Sozialstiftung Köpenick das Grundstück erwerben und das Projekt umsetzen. Es entstanden zwei baugleiche Häuser mit insgesamt 17 Wohnungen – und das direkt am Wasser und genau auf die Bedürfnisse der Mieterinnen und Mieter zugeschnitten und durch unsere Serviceleistungen ergänzt. Das war damals ein richtiges Glücksgefühl!
Das ist so schön dort, dass jeder, der mal dort war sagt: Das ist so schön hier – ich würde hier sofort einziehen.
Auch unser Ambulanter Hospizdienst Friedrichshagen hat sich beeindruckend entwickelt. Wir haben aktuell vier hauptamtlich tätige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ungefähr 100 ehrenamtliche Mitarbeitende. War der Ambulante Hospizdienst anfangs noch ein Verein, so haben wir ihn gemeinsam zu einer beeindruckenden Organisation weiterentwickelt.
Man kann sagen, dass wir immer wieder Geld in die Hand genommen haben, um etwas zu entwickeln, um etwas aufzubauen. Dabei ging es uns damals und geht es uns heute immer darum, Versorgungslücken zu schließen. Wir haben uns breit aufgestellt in den vergangenen Jahren, immer mit dem Blick auf unsere Kernkompetenz der Pflege und Betreuung, um dann auch in der Zukunft flexibel reagieren zu können.
Unsere Zeit bringt so schnelle Veränderungen mit sich. So viele Gesetzesänderungen haben wir bereits erlebt, dass wir mit einem breiten Angebot an Leistungen flexibel auf Änderungen reagieren können. Wer weiß, wie sich der Pflegesektor weiterentwickelt? Auch wir kämpfen zunehmend mit dem Fachkräftemangel, deshalb bilden wir auch selbst aus. Auch die Nachfrage nach ambulanter Pflege gewinnt immer mehr an Bedeutung. Diese Versorgungslücke möchten wir mit der Sozialstiftung Köpenick auch in Zukunft schließen. Je breiter die Stiftung aufgestellt ist, desto flexibler kann sie auf alle Gesetzesänderungen reagieren und somit die Arbeitsplätze sichern.
Wie sind die Ideen zu Ihnen gekommen? Wo haben Sie die neuen Chancen entdeckt?
Einiges kommt durch den Austausch in der Branche zum Beispiel durch den Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin. Vieles kommt aber auch durch die Mitarbeiter selbst, durch das, was sie in ihrem Umfeld erfahren haben. Und da haben wir immer genau zugehört. Und ich glaube, man muss immer genau hinhören, aber man muss nicht immer alles mitmachen. Man soll sich breit aufstellen, aber man sollte sich auf die eigenen Stärken konzentrieren, um das, was man macht, dann auch gut zu machen.
Was war Ihre größte Herausforderung?
Eigentlich kann ich das gar nicht sagen. Für mich ist die größte Herausforderung eigentlich, dass sich diese Branche in ständiger Bewegung befindet. Je nach Regierung werden neue Gesetze erlassen, die dann schnell umgesetzt werden sollen. Da hatten wir in der Vergangenheit auch mal nur 4 Wochen, um zu reagieren. Und das ist wirklich eine große Herausforderung, weil hinter den wirklich guten Gedanken die Kapazitäten in den Organisationen überschätzt werden. Das ist oft eine riesige Herausforderung, auch wenn es für die Veränderungen gute Gründe geben mag.
Was ist für Sie das herausragende Ereignis in dieser Zeit? Was sind Ihre Highlights?
Highlights waren tatsächlich die Neubauten. Wenn dann das Bändchen bei der feierlichen Eröffnung durchgeschnitten wurde, waren das großartige Momente. Wenn man weiß, es entsteht etwas Großartiges, was die Stiftung für die Menschen möglich macht.
Bei SpreeTakt – BFB fand ich es toll mit dem ersten Haus und dem Erweiterungsbau. Das war das, was man offensichtlich sehen konnte. Aber viel bewegender war es zu sehen, wie die Menschen in der Eingliederungshilfe aufblühten. Ich kannte ja noch Bewohner, die als Menschen mit Behinderungen im Pflegeheim betreut wurden – und das natürlich ohne besondere Förderung. Einige Jahre später hat man diese Menschen gesehen und konnte sehen, wie sehr sie sich entwickelt hatten, weil sie nun ihren Einschränkungen entsprechend gefördert wurden. Und das macht einen glücklich. Das erfüllt einen.
Bei meinen Besuchen im ServiceWohnen Niebergallstraße erzählten mir die Seniorinnen und Senioren, wie schön sie es da finden und wie gut es ihnen geht. Dann denke ich: Das haben wir gut gemacht.
Wie fühlen Sie sich mit ihrem Abschied?
Mhm, ich glaube, ich freue mich auf den neuen Lebensabschnitt. Ich habe mit 49 Jahren Berufstätigkeit ja ein sehr langes Arbeitsleben hinter mir, das darf man nicht vergessen. Ich bin immer sehr gerne arbeiten gegangen. Und ich bin jetzt gespannt, was alles auf mich zukommt. Ich weiß, dass ich nicht zu Hause sitzen werde. Ich werde mir neue Herausforderungen suchen und ich habe auch viele Hobbies, die ich pflegen werde. Aber ich habe noch keine Pläne gemacht. Ich möchte mir erst einmal Zeit lassen, um mir zu überlegen, was ich eigentlich machen möchte.
Natürlich liegt mir viel an der Sozialstiftung Köpenick und der Abschied ist nicht leicht für mich. Ich gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge hier raus. Aber ich weiß ja, dass die Stiftung gut aufgestellt ist, und ich bin zuversichtlich. Die Stiftung hat in allen Bereichen so tolle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Ihren Job sehr gut machen, die werde ich vermissen. Aber ich bin ja nicht aus der Welt.